Innovation: China – Zuhause des Erfindergeistes

Viele Chinesen glauben an Geister. Was aber viel erstaunlicher ist: Es glauben auch einige Geister an China. So hat sich beispielsweise der Erfindergeist in China niedergelassen, weil er hier günstige Bedingungen vorfindet. Von seinem regen Tun zeugen viele Verbesserungen, Innovationen und neue Technologien.

Vorreiter in vielen Bereichen

Elektrofahrzeuge (EVs) kommen heute zumeist aus China. Seit 2015 ist China der weltweit größte Markt für Elektrofahrzeuge. Im Jahr 2024 wurden in China mehr als acht Millionen EVs verkauft. Der Inlandsabsatz von Elektrofahrzeugen in China wird laut Experten dieses Jahr um 20 Prozent auf mehr als zwölf Millionen steigen und damit dann die Zahl der verkauften Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren um eine Million übertreffen. Es gibt auch erfolgreiche japanische E-Auto-Produzenten wie etwa Toyota. Europäische Anbieter tun sich dagegen schwer. Einige Unternehmen dort setzen wieder mehr auf Verbrennertechnik. Der größte Konkurrent im Elektrobereich, der langjährige US-amerikanische Innovator Tesla, wurde durch die chinesische Firma BYD im Jahr 2023 vom ersten Platz auf dem Weltmarkt verdrängt.


Am 14. November 2024 feierte China in Wuhan in der Provinz Hubei die Produktion des zehnmillionsten Elektrofahrzeugs.

China ist auch bei vielen Apps Vorreiter und Vorbild. Einige Applikationen aus dem Reich der Mitte sind so gut, dass sie schon fast verboten gehören – kleiner von der Realität überholter Scherz am Rande. Multi-Unternehmer und Multimilliardär Elon Musk ist auch ein großer Fan chinesischer Technologie. Er hat sein X, ehemals Twitter, schon um einige Features erweitert. Er träumt von einer Omni-App, die (fast) alles kann. Musk nennt dabei WeChat des chinesischen Tencent-Konzerns als Vorbild. Sie ist eine multifunktionale App, die Messaging, Social Media und mobile Zahlung integriert. WeChat verzeichnet weltweit steigende Nutzerzahlen, Ende 2024 waren es schon rund 1,4 Milliarden Nutzer. WeChat kann so viel, dass für eine umfassende Darstellung ein eigenständiger Artikel notwendig wäre. Aber ich lobe es besser nicht zu sehr, Sie wissen schon …

Was bei WeChat nur eine Nebenfunktion ist, ist bei Alipay die Hauptfunktion: das mobile Zahlen. Die App, die zur chinesischen Ant Group gehört, hatte schon 2024 mehr als 1,4 Milliarden Nutzer weltweit. Im Jahr 2023 betrug das Transaktionsvolumen 18 Billionen US-Dollar. Mit der Alipay-App kann man natürlich auch viel mehr, als nur zahlen. Ich denke, Elon Musk weiß sehr genau, warum er zuerst in China sucht, um neue Technologien rechtzeitig zu identifizieren.

Verlassen wir nun gedanklich die Erde: Viele Mitglieder der britischen Band Pink Floyd durften die Erfolgsnachrichten aus China noch miterleben, als 2019 die Chang’e-4-Mission als erste Sonde auf der Rückseite des Mondes landete und 2020 mit Chang’e-5 erfolgreich Mondproben zur Erde gebracht wurden. „The Dark Side of the Moon“ (die dunkle Seite des Mondes) – so auch der Name des Pink-Floyd-Albums von 1973 – war dank chinesischer Spitzentechnologie nun etwas erhellt worden. Die 2021 in Betrieb genommene chinesische modulare Raumstation „Tiangong“ war ein weiterer Meilenstein in Chinas Raumfahrtprogramm.

Spitze bei Kernreaktoren und Kooperationen

2018 nahm der weltweit erste AP1000-Kernreaktor der dritten Generation in China seinen Betrieb auf. Diese neue Reaktorgeneration verfügt über eine höhere Kapazität, fortschrittlichere Sicherheitsmerkmale und eine erhöhte Brennstoffeffizienz. Seit 2011 investiert China überdies in die Forschung an Flüssigsalzreaktoren (MSR), ein Konzept, das sich durch höhere Betriebstemperaturen und effizientere Brennstoffnutzung auszeichnet und die Probleme der Endlagerung radioaktiver Abfälle lösen kann. Im Jahr 2021 startete das TMSR-LF1-Projekt als experimenteller Demonstrator, der langfristig eine sicherere und ressourcenschonendere Kernenergiegewinnung ermöglichen soll.

Lange vor der Existenz einer ausgereiften KI haben kluge und tüchtige Chinesen in Rekordzeit Tausende von Kilometern an Schienen und Straßen gebaut sowie Mammutprojekte von hoher Funktionalität und Ästhetik verwirklicht. Ein gutes Beispiel ist der neue Flughafen Peking-Daxing (Beijing Daxing International Airport), der im September 2019 eröffnet wurde. Durch seine außergewöhnliche, sternförmige Terminalstruktur sind die Wege von Check-in über Sicherheitskontrolle bis zu den Gates extrem kurz. Warum ist das keinem Deutschen eingefallen?

Die Trump-Administration wird sehr hart arbeiten müssen, damit China den USA nicht den Ehrentitel „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ streitig macht.

Während andere Staaten demographisch und wirtschaftlich auf Millionen von Migranten aus meist armen Ländern oder Krisengebieten setzen und auf deren Integration hoffen, verlässt sich China auf die eigene Bevölkerung. Kriegen und Krisen im Ausland begegnet China mit rascher Hilfe und Friedensinitiativen. Langfristig bietet China armen Ländern Hilfe zur Selbsthilfe und Win-win-Kooperationen. Chinas Ansehen in Entwicklungsländern, die Attraktivität von BRICS und Seidenstraßeninitiative sowie seine Rolle als Schlichter bei Konflikten, sprechen neben Chinas Top-Wirtschaftskennzahlen für einen Erfolg dieser Strategie. 


Der neue Flughafen Daxing in Beijing

Investitionen in reale und digitale Autobahnen

Das jüngste Beispiel für Chinas Erfindergeist ist das Start-up DeepSeek mit seinem KI-Modell R1. Das von einem Team junger Hochschulabsolventen entwickelte Modell übertrifft in mehreren Denk-, Codierungs- und Mathematik-Benchmarks sogar etablierte westliche Systeme, darunter das OpenAI-eigene Modell ChatGPT. DeepSeek hat sein Modell nach eigenen Angaben mit nur etwa 2000 Nvidia-H800-Chips trainiert, also mit weit weniger als andere vergleichbare Systeme. US-Präsident Donald Trump erkannte die Leistung der chinesischen KI sehr schnell an, allerdings ohne zu erwähnen, dass die USA in gewisser Weise Pate dieser Entwicklung waren. Denn diese Effizienz beim Aufbau der chinesischen KI war auch dem Druck von US-Exportkontrollen geschuldet.

Was denken Sie, wie lange es dauern wird, bis der nächste chinesische Hightech-Streich ein Börsenbeben im Westen auslöst? Die Bereiche Robotik, Nano- und Biotechnologie, aber auch Militärtechnik, sind sicherlich gut für einige Überraschungen.

Die chinesische Regierung investierte unlängst in neue staatliche Fonds, die mit einem Startkapital von rund 60 Milliarden Yuan (etwa 7,8 Milliarden Euro) ausgestattet sind, um Hightech zu fördern. US-Präsident Donald Trump kündigte private Investitionen in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar an, um die KI-Infrastruktur in den USA auszubauen. Das zeigt, wie wichtig den Staatsoberhäuptern Innovationen in diesem Bereich sind. Anzumerken ist hier, dass das Milliardenvolk China natürlich mehr kluge Köpfe hat als die viermal so kleinen USA. Und: Chinas Bildungssystem liefert. Die Schüler können lesen, schreiben und rechnen. Chinesische Schüler sind bei PISA jedes Jahr auf Spitzenplätzen.

Auch traditionelle Industriezweige werden in China durch bahnbrechende Verfahren revolutioniert: So ermöglicht das 2015 eingeführte „Flash Smelting“ (Blitz-Schmelzen, Blitz-Verhütten) in der Stahlproduktion eine Reduktion der Fertigungszeit von mehreren Stunden auf nur drei bis sechs Sekunden, wodurch der Energieverbrauch um bis zu 30 Prozent gesenkt wird.

Soweit ich weiß, werden in China keine Faxe mehr verschickt, zumindest keine, die ausgedruckt auf Schreibtischen in irgendwelchen Büros landen. Deutsche Leser wissen, dass dies in anderen Ländern anders ist. China muss in Sachen Digitalisierung nicht nur Spitze sein, weil bei 1,4 Milliarden Menschen das Land sonst unter Papierbergen begraben würde, sondern auch, weil wir uns alle schon lange im Zeitalter der Digitalisierung befinden und China stets versucht, absehbare und notwendige Entwicklungen anzuführen.

China setzt hier entscheidende Impulse, mit Unternehmen wie Alibaba Cloud, das 2009 gegründet wurde und heute zu den globalen Top-Anbietern im Bereich Cloud-Computing zählt, und mit Riesen-Investitionen in den Ausbau von 5G- und, ja Sie lesen richtig, 6G-Netzen tätigt. Der kommerzielle Start von 5G erfolgte in China bereits im Jahr 2019.

Offenbar haben und hatten chinesische Regierungen genügend kluge Köpfe, die wissen, dass das Volk umfassende und schnelle Straßen- und Schienenverbindungen braucht, um Menschen und Waren zusammenzubringen sowie Wohlstand und Bildung für alle zu ermöglichen. Chinas Hochgeschwindigkeitsbahnnetz ist das größte der Welt und verbindet nahezu alle großen Städte des Landes. Züge erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 350 km/h. Bis 2023 betrug die Gesamtlänge des Hochgeschwindigkeitsnetzes etwa 42.000 Kilometer, davon rund 38.000 Kilometer reine Hochgeschwindigkeitsstrecken. Gleichzeitig haben Leihradsysteme wie Mobike und Ofo ab 2015 die urbane Mobilität revolutioniert – im Jahr 2017 wurden weltweit über fünf Milliarden Leihradnutzungen registriert, die auf GPS-basierte Flottenverwaltung und mobile Bezahlsysteme zurückgreifen.

In China wurde ebenso schnell die Wichtigkeit „digitaler Autobahnen“ erkannt. Diese digitalen Infrastrukturen ermöglichen extrem schnelle Kommunikation und Anwendungen wie autonomes Fahren und fortschrittliche industrielle Prozesse. Sie eröffnen auch den Weg für das Internet der Dinge (IoT). Alle Länder, einschließlich der USA, die es nicht schaffen in dem Bereich „moderne Infrastrukturen“ zu China aufzuschließen, werden es später sehr schwer haben.

China will bis 2050 zur führenden Wissenschaftsnation aufsteigen, wobei natürlich KI eine Schlüsselrolle spielt. Bereits jetzt sind chinesische Unternehmen führend in Bereichen wie Gesichtserkennung, autonomes Fahren und intelligente Stadtlösungen.

Klarer Fokus auf Forschung und Entwicklung

Chinesischer Erfindergeist ist auch im Alltag längst fassbar – Huawei stellte 2024 ein dreifach faltbares Smartphone vor, das neueste Display- und Faltscharniertechnologien beinhaltet und für über 100.000 Faltzyklen zertifiziert ist. Auch intelligente Mülleimer, die seit 2015 in Pilotprojekten erprobt werden und den Abfall automatisch sortieren, tragen zur Optimierung alltäglicher Abläufe bei.


Neuer Meilenstein: Huawei stellt am 10. September 2024 seine neue Premiumserie „HUAWEI Mate XT Ultimate Design“ vor.

Die Anwesenheit des Erfindergeistes in China zeigt sich auch in langfristig steigenden Patentanmeldungen. Allein im Jahr 2024 wurden über 1,5 Millionen Patente angemeldet, was rund 45 Prozent des weltweiten Gesamtvolumens entsprach.

China wächst stetig, was ohne Innovationen gar nicht möglich wäre. Sein BIP-Wachstum betrug 5,4 Prozent im vierten Quartal 2024. Dennoch bleibt der private Konsum eher schwach. Wahrscheinlich, weil viele Menschen durch die Erfahrung der vergangenen Jahre Angst vor Krisen haben und lieber sparen. Der chinesische Erfindergeist wird aber mit Beharrlichkeit, Zuverlässigkeit und einigen strukturellen Reformen auch dafür und für die Herausforderungen im Immobiliensektor Lösungen finden.

Mit einem klaren Fokus auf Forschung und Entwicklung sowie einer entschlossenen Umsetzung hat sich China als führende Kraft in Wissenschaft und Technologie etabliert. Wirtschaftswissenschaftler wissen, dass man neue Technologien am besten erkennt durch kontinuierliche Markt- und Trendanalysen, die Teilnahme an Fachkonferenzen und Messen, den Austausch mit Branchenexperten sowie durch das Monitoring von Patentanmeldungen und Start-up-Aktivitäten. Auch internationale Kooperationen und Netzwerke spielen dabei eine wichtige Rolle.

Wir alle wissen, dass der Dialog zwischen westlichen und chinesischen Forschungseinrichtungen wichtig und manchmal sogar notwendig ist, um technologische Innovationen voranzutreiben und gleichzeitig Synergien zu nutzen. Kurz gesagt: Zusammenarbeit ist hui und Handelskriege sind pfui.

Der Erfindergeist hat übrigens zahlreiche Geschwister und wenn sich in einem Land die Bedingungen verbessern, lässt sich ein Geist gerne dort nieder.

*Nils Bergemann ist studierter Journalist mit langer Erfahrung als Redakteur und Kommunikationsexperte bei Verlagen und anderen Unternehmen. Zuletzt arbeitete er fünf Jahre für die China Media Group. Weiterhin in Beijing lebend unterrichtet er seit 2023 Deutsch, Sprachwissenschaften und Wirtschaft an der University of International Business and Economics.

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